Interview mit einem Hochleistungssportler - Traber Simon (Name geändert) im Gespräch

Reporter: Hallo Simon! Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, um mit mir zu sprechen.
Simon: Sehr gerne (schnaubt).
R: Ich weiß, dass Sie lange überlegt haben, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Es ist nicht leicht für sie, darüber zu sprechen. Daher fangen wir erst einmal ganz einfach an. Woher kommen sie?
S: Das Licht der Welt erblickte ich im April 2012 in Nordrhein-Westfalen. Zu dem Zeitpunkt war ich das 2. von insgesamt 10 Fohlen, denen meine Mutter das Leben geschenkt hat. Meinen Vater habe ich nicht kennengelernt, er war wohl ein ziemlicher Draufgänger und hat sich noch vor meiner Geburt aus dem Staub gemacht.
R: Wie beschreiben sie ihre Fohlenzeit?
S: Ach, das war die schönste Zeit meines Lebens, wenn ich mich daran zurück erinnere. Ich hatte viele gleichaltrige Spielkameraden und wir konnten tagsüber auf großen Weiden gemeinsam toben. Es war ein sehr sorgenfreies Jahr.
R: EIN sorgenfreies Jahr? Was passierte dann?
S: Im Sommer 2013, etwas mehr als ein Jahr nach meiner Geburt, wurden vier meiner Spielkameraden und ich am frühen Morgen nacheinander aus dem Stall in einen großen Transporter getrieben. Wir hatten alle große Angst, weil wir nicht wussten, was in dem Moment passierte. Wir konnten nicht sehen, was draußen vor sich ging und hörten nur sehr viele unbekannte Geräusche.
Eine gefühlte Ewigkeit später ging die Tür vom Transporter auf und wir wurden einzeln in Boxen gebracht. Zum Glück konnte ich die anderen sehen. Wir waren alle enorm verunsichert und schliefen in dieser Nacht sehr schlecht.
R. Das kann ich mir vorstellen, in so eine Situation möchte wohl keiner geraten. Was geschah am nächsten Tag?
S: Ja, das war der nächste Moment, der uns Angst einflößte. Bereits am Morgen kamen viele verschiedene Menschen in den Stall und guckten in unsere Boxen. Sie schnalzten, riefen nach uns, steckten die Hände durch die Stäbe und begutachteten uns. 2, 3 mal wurde ich aus der Box geholt, von verschiedenen Leuten abgetastet und am ganzen Körper berührt. Wissen sie, ich mag das eigentlich nicht besonders, dieses Antatschen, und dann auch noch von Wildfremden. Eine vernünftige Begrüßung und Nachfragen wäre schon das Mindeste.
R: Ungeheuerlich. Konnten sie herausfinden, was es damit auf sich hatte?
S: Ja, schneller als mir lieb war. Mittags wurde einer nach dem anderen aus dem Stall geführt und auf Hochglanz poliert. Dann ging es nach draussen; ich freute mich in diesem Moment sehr, wieder an der frischen Luft zu sein nach den ganzen Strapazen und dachte im ersten Moment, dass es nun wieder auf die Weide geht. Aber da täuschte ich mich. Ich wurde in einen abgezäunten Bereich geführt, um den herum so viele Menschen standen, wie ich es bisher noch nicht gesehen hatte. Eine Stimme war besonders laut und unangenehm; dieser Stimme hörten die vielen Menschen aufmerksam zu. Ich wurde im Kreis geführt, erst im Schritt, dann auch im Trab. Runde um Runde. Die laute Stimme redete schnell, einige der Menschen außen herum riefen immer wieder irgendetwas. Dann gab es einen lauten Knall und ich wurde zurück in die Box gebracht.
Einige Zeit später kam ein mir unbekannter Mann, holte mich aus meiner Box und ich musste wieder auf einen Transporter, dieses Mal auf einen kleineren. Die anderen kamen nicht mit. Ich wieherte noch nach ihnen, aber irgendwann hörte ich ihre Antworten nicht mehr, als wir uns in Bewegung setzten.
R: Wohin wurden sie dann gebracht?
S: Die Fahrt dauerte ewig. Als wir endlich am Ziel ankamen, war es schon dunkel. Ich wurde aus dem Transporter geholt und wieder in eine Box gebracht. Um mich herum standen lauter fremde Pferde, die ich nicht sehen konnte. Ich rief nach meinen alten Freunden in der Hoffnung, dass wenigstens einer von ihnen auch dort wäre. Aber ich erhielt nur Antwort von mir fremden Stimmen. Diese Nacht schlief ich wieder schlecht.
R: Schildern sie mir einmal, was in der kommenden Zeit passierte.
S: Meine Kindheit war ab diesem Zeitpunkt vorbei, das merkte ich schnell. Die folgenden Wochen waren vom sogenannten Training bestimmt. Ich musste lernen, still zu stehen, auch wenn es um mich herum laut und unruhig zuging. Mit wurde allerhand um den Körper gebunden und ich lernte, es zu akzeptieren, erst im Stand und dann auch beim Laufen. Wenn mir etwas nicht gefiel, wurden die Menschen laut und es gab auch schon mal einen Ruck am Halfter oder einen stärkeren Klaps mit dem Strick oder der Hand. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie verstanden, was ich ihnen zu sagen versuchte. An manchen Tagen war es mir einfach zu viel Neues auf einmal und es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Außerdem drückte dieses Zeug an einer Stelle meines Körpers besonders, aber egal, was ich machte, sie bemerkten es einfach nicht und bestraften mich, wenn ich mich stärker äußerte. Nach einiger Zeit wachte ich bereits morgens mit Magenschmerzen auf. Wenn mir dann das Lederzeug umgebunden wurde, tat das am Bauch immer besonders weh. Ich wusste aber, dass es noch mehr Schmerzen in Form von Klapsen geben würde, wenn ich mich wehrte. Also ließ ich es zu.
R: Wurde es denn dann doch irgendwann bemerkt, dass sie sich nicht gut fühlten?
S (wiehert): Nein, ersteinmal nicht. Nach einiger Zeit kam zu dem Lederzeug noch ein Ding mit Rädern hinter mich, auf das sich wiederum ein Mensch setzte. Von da an ging das besagte Training erst richtig los. Auf der einen Seite war ich froh, dass ich mich wieder ausgiebig bewegen konnte. Ich durfte meine Beine mal wieder richtig strecken und die frische Luft draußen einatmen.
Es fiel mir allerdings anfangs schwer, das Tempo, was der Mensch von mir verlangte, im Trab zu halten und fiel das ein oder andere Mal in den Galopp. Ich trabte zwar sehr gerne (mir wurde mal gesagt, dass das daran läge, dass meine Eltern und Großeltern auch sehr gerne getrabt sind), aber in dem verlangten Tempo war das schon eine große Herausforderung. Eines Tages bemerkte ich dann einen unangenehmen Zug am Kopf; ich versuchte meinen Hals nach vorne zu strecken, aber irgendwann war Schluss. Es tat richtig weh, wenn ich es versuchte. Zum Glück blieb das Ding immer nur kurz dran. Dafür galoppierte ich dann aber auch nicht mehr so oft, wenn ich schnell rennen sollte und mein Mensch war zufrieden. Ich hatte halt Angst. dass das Ding wieder zum Einsatz kommen oder mein Mensch böse und ich bestraft werden würde.
R: Das heißt, egal was sie taten, ihr Unwohlsein ging weiter?
S: Ja, so ist das leider. Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich mir einfach nicht anders zu helfen, ich gab es irgendwann auf und ertrug es.
Im kommenden Frühjahr gab es dann wieder etwas für mich Neues. Dort, wo wir immer trainierten, war es an dem Tag sehr laut. Es waren viele Menschen dort und wieder diese unangenehm laute Stimme, die ich bei diesem Ereignis, an dem ich von zu Hause weggebracht wurde, gehört hatte. Mein Mensch war angespannter als sonst. Auf der Bahn, auf der wir immer trainierten, waren heute mehrere meiner Pferdekollegen versammelt, die ich vom Training kannte. Sie alle waren wie ich aufgeregt, weil wir die Situation so nicht kannten. Wir mussten nebeneinander hinter einer Mauer herlaufen, die sich, als wir schneller wurden, entfernte und irgendwann ganz weg war. Mein Mensch trieb mich an dem Tag zur Höchstleistung, ich war danach völlig außer Puste. Er wirkte zufrieden.
R: Wie ging es ihnen nach diesem Ereignis?
S: Kurz danach recht gut, da ich merkte, dass ich etwas richtig gemacht hatte. Am nächsten Tag hatte ich aber überall Schmerzen; zum Glück fiel das Training an dem Tag locker aus. ich durfte ein paar Runden traben, ohne mich sehr anstrengen zu müssen.
Was mir aber wirklich zu schaffen machte war, dass wir alle immer nur für die Trainings aus unseren Boxen kamen. Es war so langweilig im Stall und ich vermisste die grünen Wiesen meiner Fohlenzeit und meine Spielkameraden. Man muss bedenken, dass ich zu dem Zeitpunkt gerade einmal 2 Jahre und ein paar Monate alt war.
R: Wie ging es dann weiter?
S: Diese lauten Situationen mit vielen Menschen fanden nun öfter statt. Sie unterschieden sich vom Training insofern, dass ich mit den anderen Pferden um die Wette lief. Oft hielt mein Mensch die Zügel währenddessen so fest, dass es im Maul und auf der Zunge sehr schmerzte. Ich versuchte alles, um diesem Druck zu entgehen, versuchte meine Zunge zu befreien, um diesem Schmerz zu entgehen. Auch das verstand mein Mensch nicht. Stattdessen nahm er eines Tages vor solch einem lauten Ereignis meine Zunge, wickelte einen Gegenstand darum und band die Zunge damit an meinem Unterkiefer fest. Ich hatte keine Chance mehr, sie zu befreien. Der Schmerz durch die Zügel, die in meinem Maul ruckten, war an diesem Tag unerträglich.
R: Das ist ja unmenschlich. Kaum vorstellbar, dass so etwas gestattet ist.
S: Ja, nicht wahr? Und das geht ja noch weiter. Vor diesen Ereignissen bekam ich zuletzt weiche Dinge in die Ohren gestopft, sodass ich die laute Stimme an diesen Tagen nicht mehr so unangenehm wahrnahm. Es war alles etwas gedämpfter und sogar recht angenehm. In diesem Moment war ich meinem Menschen dankbar, weil er mich offenbar verstanden hatte.
Als wir dann wieder um die Wette liefen und das letzte Stück zum Ziel rannten, verschwanden diese Dinger aus meinen Ohren plötzlich! Ich erschrak mich ungemein, weil es plötzlich so laut wurde; ich wollte nur noch wegrennen und überholte alle anderen.
Nach diesem Schreckmoment war mein Mensch sehr zufrieden. Seit diesem Tag lief das bei jedem dieser Ereignisse so ab: Zunge fest, Ohren zu. Es war barbarisch. Ich ertrug es 2, 3 Jahre. Ich wurde immer launischer und sah irgendwann keinen Ausweg mehr, als den Gang zur Trainingsbahn zu verweigern. Ich wollte das alles nicht mehr. Es setzte fiese Schläge mit dem Stock, den meine Mensch immer dabei hatte. Aber auch das war mir egal. Mir wurden die Augen verbunden, aber als ich merkte, dass ich ausgetrickst wurde, sagte ich wieder deutlich nein.
Irgendwann wurde ich gar nicht mehr zum Training herausgeholt. Eines Tages kam ein mir unbekannter Mann, holte mich aus der Box und ich musste wieder auf einen Transporter. Ich weigerte mich zunächst, da ich dachte, es geht wieder zu einem lauten Ereignis. Irgendwann gab ich aber nach, der Mann machte einen ruhigen und auch irgendwie vetrauenswürdigen Eindruck.
R: Wo wurden sie hingebracht?
S: Nach einer wieder mal langen Fahrt kamen wir an einem ruhigen Ort an, ich wurde in eine Box geführt. Auch in diesem Stall roch alles nach Training und ich resignierte sofort erneut.
Dieses Mal konnte ich aber zumindest die anderen Pferde sehen und meinen Nachbarn sogar direkt begrüßen. Er roch nach frischem Gras, was mich hoffen ließ. Ich hatte seit Jahren kein frisches Gras mehr gesehen.
R: Und? Erfüllte sich ihre Hoffnung?
S: Das erzähle ich ihnen zu einem späteren Zeitpunkt. Ich muss mich ersteinmal ausruhen. Es war sehr anstrengend, über all das zu sprechen.

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