Wieso gibt es eigentlich keine "echten Reiterkinder" mehr?

 

 

Immer öfter bekomme ich Klagen mit, wie unselbständig und unsicher die Kinder und Jugendlichen heutzutage im Umgang mit dem Pferd sind. „Früher war das alles gaaaaanz anders…!“ Gähn. Jaja, früher war alles besser. Klar. Aber warum eigentlich?

 

Ich stelle mitunter auch das Weicheitum bei vielen jungen Pferdemenschen fest. Sie (das geht bis zu einem Alter von 16) werden meist von einem Elternteil gebracht und wieder abgeholt, obwohl der Bus bei uns vor der Tür hält. „Nele kann nicht allein umsteigen“ oder „Lena friert immer so schnell, deswegen fährt sie im Herbst nicht gern mit dem Rad“ sind nur einige zahlreicher Aussagen, die ich schon, wohlbemerkt von Eltern, gehört habe.

 

Wenn die lieben Kleinen dann alleine sind, geht es schon beim Von-der-Weide-holen los. Ein Halfter richtig anlegen ist für uns ältere Generation eine Selbstverständlichkeit und läuft automatisch ab; für viele kleine Reiter ist dies aber schon die erste Herausforderung, wie man sieht, wenn sie stolz am Putzplatz angekommen sind (das Pferd hat sie entweder dorthin gezogen, es kennt ja den Weg, oder sie mussten es ziehen, es kennt ja den Weg und weiß, was ihm blüht). Der Haken des Karabiners piekst dem Pferd in die Kaumuskulatur, der Führstrick ist am Seitenring des Nasenriemens befestigt. Eventuell wird der Faux-pas, wenn bemerkt, von einer kompetenten Person korrigiert, meist jedoch ohne Erklärung. „Das gehört so und so.“

 

Beim Putzen wird festgestellt, dass das Pferd eine Schürfwunde hat. Um das Kind nicht mit dieser klaffenden Wunde zu konfrontieren und letztlich vielleicht sogar zu traumatisieren, wird die Wunde von einer erwachsenen Person versorgt.

 

Beim Hufe säubern (meist hinten) spätestens die nächste Herausforderung: Das Kind hat Angst, dass es getreten wird, weil irgendein schlauer Erwachsener ihm mal gesagt hat, dass es sich von den Hufen fernhalten soll. Was passiert? Irgendjemand übernimmt das dann für das Kind.

 

Und so geht das weiter. Satteln. Macht ein Erwachsener. Das Kind könnte ja was falsch machen: Die Satteldecke wirft Falten, Strupfen sind verdreht oder durch den falschen Spalt im Gurt gezogen, der Sattel liegt zu weit vorne oder zu weit hinten…alles nicht gut fürs Pferd, deshalb bloß das Kind nicht machen lassen. Trensen. Macht ein Erwachsener. Das Kind könnte ja was falsch machen. Es könnte das Gebiss immer wieder gegen die Zähne des Pferdes schlagen, wenn es nicht das Maul öffnen möchte (wofür es sicher Gründe gibt, aber das ist ein anderes Thema), es könnte ihm ein Ohr einklemmen oder eines vergessen, den Nasen- und Kehlriemen zu fest verschnallen etc.

 

Das Ganze könnte man nun unendlich fortsetzen, jeder kennt das. Aber merkt Ihr was?

 

Ich nehme die zunehmende Unselbständigkeit sowohl in meinem Beruf als Lehrerin als auch beim Unterrichten junger Pferdemenschen wahr und wundere mich überhaupt nicht: Alles wird ihnen heutzutage abgenommen, ganz egal, in welchem Bereich. „Unbequeme und/oder anstrengende Dinge übernehmen andere für mich, and falls nicht: Irgendwann machts immer jemand.“ Geht beim Reiten lernen eben nicht. Das verstehen leider nur die wenigsten und der Großteil verliert häufig den Willen, dazuzulernen, weil sie gar nicht mehr das Gefühl des Erfolges kennen, das eintritt, wenn man dafür arbeitet.

 

Also: Traut Euren Kindern/Reitschülern/Reit- oder Pflegebeteiligungen ruhig mehr zu; auch wenn es anfänglich schwierig wird! Denn sobald sie merken, dass sie durch Arbeit und Durchhalten etwas erreicht haben, ist das eine Riesenbelohnung für Kinder, sei das Erreichte in unseren Augen auch noch so klein. Der Wille, das nächste Projekt anzupacken, wird so von mal zu mal größer. Lasst Sie Fehler machen, aber erklärt ihnen, wo der Fehler liegt und vor allem, weshalb man es anders machen sollte. Sie verstehen das! Zieht Vergleiche zum Alltag der Kinder, so erreicht ihr sie am besten:

Sie verstehen, dass ein unpassender Sattel oder eine Falte in der Decke Unwohlsein oder gar Schmerzen beim Pferd verursachen können.  Wie Schuhe die nicht passen. Sie verstehen, dass ein Pferd nicht per se schlägt, wenn man sich in der Nähe der Hinterhufe befindet. Sie schlagen ja auch nicht jeden, der sie von hinten umarmt, es sei denn, es geschieht unerwartet. Sie verstehen, dass eine frische Schürfwunde gesäubert und desinfiziert werden kann. Das ist beim Menschen dasselbe.  Sie verstehen auch, dass das Pferd kontrolliert auf bestimmter Höhe neben ihnen laufen sollte, da alles andere gefährlich ist.  Erklärt ihnen, wieso das so ist, sagt es nicht nur. Sie verstehen, dass ein Pferd, was hinter der Senkrechten geritten wird, Atem- und Schluckprobleme bekommt. Lasst sie es selbst ausprobieren, danach wird es dazu keine Diskussionen mehr geben.

Wenn es dazu nötig ist, die Eltern aus dem Untericht zu verbannen: Tut das! Man stelle sich mal vor, dass die Eltern mit im Unterricht in der Schule sitzen! Wird aus gutem Grund nicht praktiziert.

 

In diesem Sinne: Viel Spaß mit den Kleinen! Sie wollen es! Gebt ihnen die Chance, es zu beweisen!

 

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Kommentare: 11
  • #1

    Dorit Garbe-Rickenstorf (Sonntag, 26 Januar 2020 11:26)

    Liebe Sandra Rodwell,

    nach ich mich versuche in eine reitende, liebende Lehrerin ein zu fühlen, schlage ich gern vor, das "eigentlich" aus der Headline zu streichen.

    Ich nehme wahr
    * es gibt ein Gefälle zwischen neuen, alten Bundesländern
    * zwischen Stadt und Land
    * Abhängigkeit von Intelligenz, Alter, Erfahrung, Lebenseinstellung der Sorgeberechtigten, manchmal selbst verbitterten oder traumatisierten Eltern mit Zweifel und Ängsten

    Und ja leider:
    betrifft es nicht nur den Pferdesport, wie ich finde die generell um sich greifende empathielose Verrohung mit der Folge fehlenden Respekts

    Und Gott sei Dank:
    Finden sich Wege und mutige Menschen, wie Sie, die inne Halten, Erlebtes teilen und wissen, dass es wieder besser werden kann.

    Herzliche Gruesse,
    Dorit "Ayurveda Kermit"

  • #2

    Erhard Marenbach (Sonntag, 26 Januar 2020 19:05)

    100% meine Beobachtungen. Aus Erfahrung kann ich sagen das das kein rein deutsches Problem ist. Wir haben das gleiche in Canada und ich gebe nicht den Kindern die Schuld. Das Problem sind immer wieder die Eltern. Traurig, aber wahr

  • #3

    Monika Brüning (Montag, 27 Januar 2020 09:14)

    Hallo
    Meine drei Mädels reiten und ich habe sie so erzogen das nicht drauf setzten rumjokeln und wieder paddock sie mussten überall helfen misten putzen auch hufe auskratzen sattelpflege ich habe nur geholfen wenn es nicht anders ging wenn der Tierarzt kommt mussten sie auch dabei sein
    Wenn ich das manchmal so sehe in den reitshulen pferd schon fertig warm geritten auch schade

  • #4

    Knut Stuhldreier (Montag, 27 Januar 2020 13:00)

    Wahre Worte

  • #5

    Annika Schlemmer (Dienstag, 28 Januar 2020 08:45)

    Ein paar wenige gibt es doch, denke ich, aber ich habe auch das Gefühl: Es wird seltener. Es wird viel weniger „Trial and Error“ zugelassen. Ist aber, glaube ich, ein gesamtgesellschaftliches Problem..

    Und ich nehme mich da nicht aus: Als ganzheitlich bekümmerte Pferdebesitzerin und -Physiotherapeutin und zugleich Mutter habe ich persönlich aber auch wahnsinnig hohe Ansprüche daran, a) wie meine Kinder bitte lernen soll, auf das Pferd zu achten und nicht- wie früher auch oft- einfach „drauf los“ zu machen und b) dass es nicht mit so abgestumpfte Ponies rumackern muss, wie ich es teilweise musste.
    Davon muss ich mich ehrlicherweise auch erstmal frei machen, um auf mehreren Ebenen „loszulassen“.

    Was mich in dem Zusammenhang kürzlich sehr zum Nachdenken angeregt hat: Vorderhufe auskratzen macht die 10jährige Reitschülerin schon ohne Probleme. Hinterhufe aber: Oh nee, das ist mir zu anstrengend. Mangels Kraft und wegen „Rücken“.. Ernsthaft???

  • #6

    Ellen Krüger (Mittwoch, 29 Januar 2020 08:18)

    Ich betreibe Seit 22 Jahren eine Kinderreitschule und versuche die Kinder selbständig an die Pferde zu führen über Erklärungen,... das wünschen aber die Eltern nicht! Den Kindern soll es abgenommen werden, es muss schnell gehen, und nach dem Reiten gleich nach Hause weil nicht Kind sondern Mutti friert. Bringe ich den Kindern Selbstständigkeit bei hagelte es gerade wieder Kündigungen da das für die Kinder zu viel ist. In den letzten Jahren haben wir eine Spielkonsolen Generation herangezogen die unbeweglich und auch extrem unmotorisch ist. Wenn Reiten- was ja nunmal ein Sport sein sollte anstrengend wird hören die meisten Kinder bereits wieder auf. Unverständnis von den Eltern wenn man ihnen den Vorschlag macht das Kind wenigstens bis zum Kündigungsende noch zu schicken. Es gibt so gut wie kein Durchhaltevermögen mehr. Weder schulisch noch im sportlichen. Wir ziehen eine sehr selbstbewusste verwöhnte und Spassorientierte Generation Kinder und Jugendlicher groß . Eigentlich tun sie mir schon leid, wenn die Lehre oder das Studium dann auf einmal Anstrengung und Durchhalten bedeutet was sie vorher nie gelernt haben. Vor grad mal 20 Jahren hatten wir noch ganz andere Kids , da hatte auch der 4 jährige noch kein Handy und keine Spielekonsole...

  • #7

    Jasmin Nolde (Mittwoch, 29 Januar 2020 08:23)

    Hallo,
    Mein 10-jähriger Sohn ist von kleinauf unter Pferden - er kümmert sich um das Rausstellen (auch morgens vor der Schule bei Wind und Wetter), fährt bei jedem Wetter mit dem Fahrrad und selbst am Wochenende füttert er morgens um 7 Uhr. Er äppelt selbständig ab und kann daran Auffälligkeiten erkennen. Er füttert selber, erkennt die Qualität des Rauhfutters und weiß, wie die Verdauung des Futters abläuft. Er streicht die Pferde mit den Händen ab und erkennt Muskelverspannungen, sieht Lahmheiten und spricht uneinsichtige Reiter an. Er beobachtet die Tiere beim Fressen und im Herdenverhalten.
    Er halftert selbst die kalten Riesen im Schlaf.
    Dafür hat er kein Interesse am Reiten! Er macht alles vom Boden aus und ist damit völlig zufrieden.
    Hufe auskratzen und Satteln ist nicht alles denke ich so oft.
    Kinder sind so unterschiedlich - aber lasst sie als Eltern auch so sein. Gebt ihnen Raum die Dinge zu lernen. Nicht jeder kann ein eigenes Pferd haben wie unser Sohn - aber als Eltern kann man darauf achten, dass ihre Kinder auch die Dinge um das Reiten herum lernen und beobachten.
    Lasst die Kinder fühlen und in die Tiere hineinspüren.
    ☺️ Liebe Grüße

  • #8

    Britta Abschlag (Freitag, 31 Januar 2020 13:29)

    Ich bin als Mama klar immer in Sorge aber nicht übers Mass. Meine Tochter ist mit 91/2 Monaten gelaufen. Auf Spielplätzen überall hochgeklettert. Wenn sie Fällt fällt sie. Mit 3 Jahren wollte keine Reitschule sie aufnehmen, keine Beinkraft. Sie wurde bei Freunden zum Offenstallkind. Mit Reiten mit Abäpeln, Heunetze stopfen füttern reinholen. Hufekratzen klar musste man zuerst noch helfen aber schnell hies es
    :möchte allein schaff das schon. '' Jede Veränderung würde sofort bekanntgegeben. Zecken entfernt, Wunden mitversorgt aber mehr zuschauen weil die Besitzer es lieber von sich aus dann versorgt haben. Aus besonderen Gründen kann sie momentan nicht und ich schaffe es Finanziell eben nicht habe ein trauriges 11 Jähriges Mädchen zuhause, die zugern wieder alles machen möchte. Aber es ist auch nicht immer bezahlbar. Oder es heisst Minderjährige nein danke ohne das Kind auf dem Pferd gesehen zuhaben oder es versuchen zulassen. Kleidung da bin ich verantwortlich das das Kind nicht friert oder ich mit Wartezeiten rechnen muss beim abholen. Viel spass euch noch mit euren Pferden und Glück mit den Schülern

  • #9

    Marion (Mittwoch, 28 Oktober 2020 11:20)

    Wir haben 4 Pferde und versorgen diese in Eigenregie. Unsere zwei Kinder sind mit den Pferden und der Arbeit damit aufgewachsen und reiten beide - meine Tochter sogar ohne Sattel in allen Gangarten auch im Gelände. Ich hatte öfter auch Angst aber als ich dann an meine Jugend dachte ist mir eingefallen (BJ1966) bei mir ist es auch so gewesen nur meine Mutter hatte keine Ahnung was ich so getrieben habe.���Also grundsätzlich sind die Eltern erst einmal Vorbild und man soll den Kinder immer die Gelegenheit geben Erfahrungen selbst zu machen. Mein Sohn hat niemals mit Werkzeug für Kinder gespielt und heute mit 15 Jahren kann er unter Aufsicht schon mit der Kettensäge umgehen. Aber es stimmt auch eine Reitbeteiligung zu finden ist sehr schwer - die kommen und denken das Pferd steht fertig zum Reiten da - nix helfen �echt traurig und schlimm für die Kinder!

  • #10

    Irene Hägele (Mittwoch, 28 Oktober 2020 11:40)

    Ich habe auch eine kleine Westerbreitschule, die eigentlich für Kinder gedacht war. Mittlerweile unterrichte ich nur noch Erwachsene und vereinzelt Jugendliche.
    Der Grund- nahezu hundert Prozent die Eltern, insbesondere die SUV Muttigeneration. Ich weiß nicht ob sie sich bewusst sind was sie ihren Kindern aus eigener Bequemlichkeit heraus nehmen. Ein richtiges Ponykind oder Pferdemädchen Dasein ist fast nicht mehr möglich. Es muß immer schnell gehen, am Besten fährt man sein Kind direkt an die Stalltüre, ja und bitte nicht schmutzig machen, das Auto.....
    Für mich ist das, auch wenn mich jetzt manche Mütter am Liebsten fressen möchten, die Faulheit der Eltern. Wenn dann bitte sauber vorimprägniert aufs Turnier und da erzählen wir den Richtern wo KIND platziert zu sein hat. Sonst wechseln wir den Reitlehrer. Gibt ja genug und Pferde auch.
    Liebe Eltern, das ist ein Verbrechen an eure Kinder.
    Ob ich Ahnung habe? Ich bin Erzieher, Pferdewirtschaftsmeister und Ausbilder und ich liebe die wenigen Pferdekinder die noch welche sein dürfen. Also macht sie bitte nicht alle kaputt.

  • #11

    Charlotte (Donnerstag, 21 März 2024 07:41)

    Helikopter Eltern.

    Man kann NUR aus Fehlern lernen, weil man dann die Chance hat das Ganze aus allen Perspektiven zu sehen. Und zu entscheiden was die Lösung fürs nächste Mal ist.

    Durch die angewöhnte Vorsicht verlernen die Menschen auf SICH SELBST zu vertrauen - Ihr eigenes Gefühl- ihre Entscheidungen - ihre Fähigkeiten (die ja meist gar nicht erst erforscht werden können...woher also wissen was ich sicher kann? Und wo ich noch üben kann?)

    LG
    Charlotte